Das Klischee der Psalmenpumpe
Wer kennt nicht die Horrorvorstellung vom ächzenden und schnaufenden Harmonium - vorzugsweise an so ungemütlichen Orten wie Friedhofshallen?

Kein anderes Musikinstrument hat sich je ein so "gruseliges" Image erworben wie das Harmonium. Psalmenpumpe ist dabei noch einer der freundlicheren Spitznamen.
Die Gründe für diesen negativen Ruf haben vor allem damit zu tun, dass die meist einfachen und häufig nicht gut gewarteten Instrumente sich ausgerechnet in Kapellen und Bet-Sälen am hartnäckigsten hielten.
Dort wurden sie leider bisweilen in höchst unbedarfter und bisweilen fast bis an emotionalen Mißbrauch grenzender Weise eingesetzt.

Dabei wurde vergessen, dass es sich beim Harmonium ursprünglich eigentlich um äußerst charaktervolle und komplex zu spielende Instrumente handelte, deren Anschaffungswert sogar leicht den Kaufpreis eines Flügels übersteigen konnte. Heute erlebt das Harmonium französischer oder amerikanischer Herkunft aufgrund seiner klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten eine Renaissance. Vor allem das französische Druckwindharmonium wurde aufgrund seiner exzellenten Klangmöglichkeiten zum Kunstharmonium weiter entwickelt. Seine künstlerischen Wurzeln gehen auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück.

Der sog. Wind für die Klangerzeugung wird vom Spieler mit den Füßen erzeugt. Dabei besteht beim Druckwindharmonium die Möglichkeit, den Ton nach seinem Anschlag über den Spielwind weiter verändern und ausgestalten zu können. Aufgrund dieser besonderen Ausdrucksfähigkeit und Variabilität wird es von namhaften Spielern auch gerne als l'instrument de la voix humaine par excellence (Joris Verdin) bezeichnet.

Die Ausdrucksfähigkeit dieses Instruments hat ihren Preis - das Instrument ist relativ schwierig zu spielen. So wurde das Druckwindharmonium zur Rarität. Heute sind nur noch wenige spielfähige Exemplare erhalten. Sie hatten Namen wie Orgue Expressif, Poikilorgue (Kunstorgel) oder auch Harmonium d'art und waren schätzungsweise bis ca. 1900 vor allem in den Salons wohlhabender Häuser wie auch in zahlreichen Kirchen zu Hause.




Mustel-Kunstharmonium

Orgue-Mustel



Das Mustel-Kunstharmonium
Brillante Klangfarben, hohe Ausdrucksfähigkeit und die Eignung zur Wiedergabe virtuoser Musik sind für ein französisches Kunstharmonium charakteristisch.
Es wurde ursprünglich für den musikalischen Salon entwickelt, kann aber dank seines kraftvollen Klangs auch gut an Stelle einer Chor-Orgel eingesetzt werden.

Das französische Harmonium inspirierte von Anfang an namhafte Musiker wie George Bizet, Camille Saint-Saëns, und Alexandre Guilmant zu ausdrucksstarken und charaktervollen Kompositionen.
Sigfrid Karg-Elert schließlich setzte mit seinem hohen spielerischen und tonsetzerischen Können einen vorläufigen End- und Höhepunkt in der Entwicklung von Harmonium-Musik.

Das von mir gespielte Mustel-Harmonium mit der Serien-Nummer 376 aus der Mitte der 1880-er Jahre verfügt über eine sog. Doppel-Expression und 6 bzw. 7 sog. Spiele. Es wurde als Modèl N° 2 auf den Markt gebracht und allem Anschein nach von
Kotykiewicz  in den 1930-er Jahren repariert und die Intonation dem damaligen deutschen Geschmack angepaßt.Im zweiten Weltkrieg wurde das Instrument vor allem äußerlich durch Vandalismus der Besatzer in Wien beschädigt. Es wurde von seinem Vorbesitzer Michael König von Grund auf repariert und spielbar gemacht.  Der ausgewiesene Kunstharmonium-Spezialist  Mark Richli  führte 2017 eine grundlegende Restauration des Instruments durch, bei der die Intonation in den Originalzustand zurück geführt wurde. Das Instrument steht auf einer Stimmtonhöhe von 440 Hz.



Mustel-Kunstharmonium

Das Mustel-Kunstharmonium - Zustand 2015
Foto: Michael König






Das Trayser-5-Spiel-Harmonium
Das von mir gespielte Instrument dürfte von ihm in der Mitte der 1880-er Jahre hergestellt worden sein. Philipp Trayser erlernte in Frankreich den Harmonium-Bau und führte das Druckwindharmonium zusammen mit J & P. Schiedmayer ab den 1850-er Jahren in Deutschland ein. Das Instrument zeichnet sich über spielerische Präzision und klangliche Transparenz aus. Trotz seiner kammermusikalischen Ausrichtung ist es in der Lage in kleineren bis mittleren Räumen einen brillanten Grand-Jeu-Klang zu produzieren, wie der z.B. in Rossinis Petite Messe Solennelle gebraucht wird. Als Trayser-Instrument verfügt dieses Harmonium über eine besonders schöne Percussion.

2012 wurde das Instrument mit der Seriennummer 28539 von dem Orgelbaunmeister
Markus Lenter vollständig überarbeitet und auf die Tonhöhe a1=440.8 Hz gestimmt.



Die Disposition  



Im Prinzip handelt es sich bei diesem Instrument um ein klassisches Vierspiel mit zusätzlicher Schwebung
 



Cor Anglais (1)
Flûte (1)
Bourdon (2)
Clarinette (2)
Clairon (3)
Flageolet (3)
Basson (4)
Oboe (4)
Voix Céleste (8')
Voix Céleste (8')
 



Percussion (1)
Percussion (1)
Sourdine (4)
Trémolo (4
Forte B (F)
Forte D (F)
 



Expression



Grand Jeu



Double Expression System Trayser


Genouillères: à gauche Grand Jeu
à droite Forte




Trayser-Harmonium

Zustand seit der Renovierung durch Markus Lenter



Kathedralorgel im Westentaschenformat?
Entwickelt wurde das Druckwindharmonium um den Ton eines Tasteninstruments auch nach dem Anschlag noch dynamisch ausgestalten zu können. Herausgekommen ist ein differenziertes und komplex zu spielendes Instrument, welches seinen Platz neben dem Flügel in den Pariser Salons wohlhabender Familien zu behaupten vermochte.

Im Druckwind-Harmonium (auch Orgue-Expressif genannt) wurde dagegen das Know-how führender französischer Orgelbauer umgesetzt, so daß man diese Instrumente sogar als Kathedralorgel im Westentaschenformat bezeichnen könnte. In Hinblick auf ihre unglaubliche Ausdrucksfähigkeit gehen die Möglichkeiten des Kunst- bzw. Druckwindharmoniums sogar weit darüber hinaus.

Damit verfügt dieses Instrument über ein erstaunliches Stilspektrum von solistischer Harmonium- und Orgelmusik über kammermusikalische Anwendungen bis hin zu seiner Eignung zur Chanson-Begleitung.
Ein Klassiker ist natürlich der Einsatz bei Rossinis Petite Messe Solennelle.



Programme, Projekte & Repertoire - Trayser

Gewissermaßen als "Schmankerl" besticht das Trayser-Druckwindharmonium durch seine überraschende Fähigkeit, Werke der Barockzeit überzeugend wieder zu geben - also Musik, die bereits rund 100 Jahr vor Erfindung des ersten Harmoniums geschrieben wurde.Passend dazu soll es in den Niederlanden bis heute eine Tradition geben, Druckwind-Harmonien sogar als Generalbass-Instrumente einzusetzen.

Mit diesem Instrument wurden schon zahlreiche Programme gestaltet, wie z.B. die folgenden:
  • Harmoniumjahr... Download
  • Chanson - durch den Halleluja-Vergaser gejagt... Download
  • Composer in Residence: Cornelius Hummel (*1957) Download


Programme, Projekte & Repertoire - Mustel
Seit 2015 erfolgt die intensive Beschäftigung mit dem Kunstharmonium,
angeregt durch Ulrich Averesch, der mir freundlicher Weise sein Mustel-Kunstharmonium mit Celesta zur Verfügung stellte für das
Abschluß-Konzert im Rahmen der 63. Internationale Orgeltagung 2015
der Gesellschaft der Orgelfreunde(GDO)
ausgerichtet vom Arbeitskreis Harmonium in der GDO
.


Danksagung
Zahlreichen Freunden und Kollegen verdanke ich fundierte Hilfestellungen für den Zugang zum Harmonium:


    Meinem Dekanats-Kantor Thomas Schwarz sowie UMD Bernhard Emmer, denen ich erste prägende Erfahrungen mit dem "morbiden Charme" des Saugwind-Harmoniums zu verdanken habe.

    Franciscus van den Berg, der mir entscheidende Starhilfen und Tipps für den Umgang mit Harmonien gab.

    Carsten und Iris Lenz, der mir halfen, einige dieser Tipps in die Realität umzusetzen.

    KMD Klaus Uwe Ludwig, unter dessen Aegide ich mein erstes Solo-Konzert auf der Psalmenpumpe geben durfte.

    Kantor Christian Pfeifer und dem Bodenpersonal ;-) der Bergkirchengemeinde, die dem Harmonium ein musikalisches Heim gegeben haben.

    Michael Grüber und Miriam Tressel, durch deren Engagement ein inspirierender Harmonium-Kurs mit Kurt Lueders in Paris stattfinden konnte.

    Joris Verdin, der den Teilnehmern seiner Kurse freigiebig Zugang zu seinem Instrument gewährte.

    Ulrich Averesch, der mir zu meinem ersten Instrument und einem soliden Grundstock an Harmonium-Literatur verhalf.

    Des weiteren danke ich Ulrich Averesch für die Gelegenheit, sein sehr schönes Mustel-Celesta-Kunstharmonium auf der internationalen GDO-Tagung 2015 in Dresden konzertant spielen zu dürfen.
    Nicht zuletzt danke ich Ulrich Averesch für die Vermittlung eines traumhaft schönen Mustel-Kunstharmoniums von Michael König.

    Lothar Röhr , der mir durch seine einschlägigen Kenntnisse half, echte Geheimtipps an Harmonium-Musik zu erwerben.

    Thilo Frank und Arno Kerkhoff, von denen ich jeweils ein sehr schönes Trayser-Harmonium erwerben durfte.

    Louis Huivenaar und Mannes Wellewerd, die mir mit hohem fachlichen Wissen und Können freundlich zur Seite standen.

    Markus Lenter, dem ich ein sehr gute Überarbeitung meines Trayser-Instruments verdanke.

    Stephan Breith, dem ich höchst kreative Impulse im Zusammenspiel mit Violoncello und Harmonium verdanke.

    Thilo Frank für die Gelegenheit, das einzigartige und sehr inspirierende Orgel-Harmonium von Markus Lenter im Konzert spielen zu dürfen.

    Michael König, von dem ich, dank der Vermittlung durch Ulrich Averesch ein fabelhaftes, in Eigenleistung konzertant spielbar gemachtes Mustel-Kunstharmonium erwerben durfte.

    Christian Hauf, der mir bei der Entscheidung für das Mustel-Harmonium Mut gemacht hat.

    Mark Richli, der das Instrument als ausgewiesener Mustel-Spezialist von Grund auf restauriert und in den klanglichen Originalzustand zurück geführt hat.

    Cornelius Hummel, der als Komponist das Repertoire für Harmonium um höchst ansprechende Kammermusik erweitert hat.


    Zahlreiche weitere Kollegen, mit denen ich in der direkten musikalischen Zusammenarbeit zahlreiche Erfahrungen auf dem Harmonium machen durfte und darf.


Wissenswertes
Weitere fundierte Informationen zum Thema sind zu finden auf der Website des Arbeitskreises Harmonium in der Gesellschaft der Orgelfreunde.





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